Viele Automobilhersteller vernachlässigen außerhalb ihrer Heimatmärkte noch immer die Versorgung mit Originalersatzteilen – und verhindern damit die Entwicklung zukunftsorientierter Marktstrukturen.
Von Oleg Stark
Autofahren in Russland macht nicht immer Spaß. Schuld daran sind nicht allein die rauen Sitten im russischen Straßenverkehr oder der mitunter abenteuerliche Zustand der Verkehrsinfrastruktur in dem riesigen Land. Für viele Autofahrer gerät der Wunsch nach Fortbewegung vor allem dann zum Trauerspiel, wenn der fahrbare Untersatz defekt und für die Reparatur ein Ersatzteil erforderlich ist. In einem solchen Fall warten Wagenbesitzer nicht selten wochen- oder sogar monatelang auf das benötigte Originalteil des Herstellers – und das selbst dann, wenn der Schadenfall bei einem Neuwagen noch innerhalb der Garantiezeit auftritt. Die russischen Auto-Foren im Internet sind voll mit Beschwerden von Kunden, deren Autos stillstehen, weil es mit der Lieferung der erforderlichen Fahrzeugteile hakt.
Nicht nur in Russland brauchen Fahrzeugbesitzer viel Geduld und starke Nerven, wenn es um Liefertermine für Autoersatzteile geht. Auch in vielen anderen Ländern, etwa in Osteuropa, läuft die Logistik für Fahrzeugteile alles andere als rund. Sogar innerhalb der Europäischen Union – also in einem Wirtschaftsraum ohne Zollbarrieren und Stapeln von Lieferpapieren – vergehen zwischen Bestellung und Lieferung von Originalteilen mitunter mehrere Arbeitstage. Und das, obwohl diese Teile eigentlich in gleich mehreren Logistikzentren vorrätig sind und damit kurzfristig lieferbar wären. Es ist eine ernüchternde Erkenntnis: Außerhalb ihrer Heimatmärkte behandeln viele Automobilhersteller die Versorgung mit originalen Ersatzteilen eher stiefmütterlich. Die Leidtragenden sind nicht allein die Kunden, sondern auch die Vertragshändler und -werkstätten, auf die im langwierigen Schadensfall der Unmut der Fahrzeugbesitzer niederprasselt. Angesichts der wenig zufriedenstellenden Situation entscheidet sich mancher Händler zu einer Art Doppelstrategie: Er bestellt das erforderliche Ersatzteil sowohl offiziell beim Hersteller als auch inoffiziell bei einem unabhängigen Teilelieferanten. Das zuerst gelieferte Teil verbaut die Werkstatt dann, das zweite Ersatzteil landet als Verkaufsangebot in einer Teilebörse.
Für die Autofahrer etwa in Russland ist die mangelhafte Teilelogistik eine Art Déjà Vu. Auf den russischen Straßen nahm im Verlauf der 1990er Jahre aufgrund des wachsenden Gebrauchtwagenmarktes und der allmählich steigenden Menge der Neufahrzeuge die Zahl der „West-Fabrikate“ und im Osten des Landes vor allem der japanischen Fabrikate zu – die Belieferung mit Ersatzteilen aber konnte mit der immer größeren Fahrzeugflotte nicht mithalten. Nicht nur, dass es ein anhaltendes Problem war, im Reparaturfall überhaupt Originalfahrzeugteile in einer akzeptablen Zeit zu bekommen. Da es keine Ersatzteilkataloge gab und so die korrekte Bestimmung der benötigten Teile schwer fiel, orderten Werkstätten regelmäßig die falschen Teile. Das Ergebnis: Die Fehlerquote der Bestellungen lag bei bis 30 Prozent.
Und noch in einem weiteren Punkt bescheren etliche Automobilhersteller ihren Kunden in Russland sowie in vielen weiteren Ländern ein eher peinliches Wiedererkennen: Die Konzerne unternehmen – ähnlich wie in der Vergangenheit – wenig, um das Problem der Teilelogistik zu lösen. Ihr Geschäft ist eher auf den Verkauf von Neuwagen ausgerichtet, hier fließen die Boni für das Erreichen der Jahresziele. Renditeüberlegungen spielen weniger eine Rolle, im Fokus steht im Wettbewerb mit der Konkurrenz vor allem die absolute Zahl der verkauften Neufahrzeuge. Der Ersatzteilmarkt ist und bleibt in vielen Ländern die Achillesferse der Hersteller. Das gilt auch für den boomenden chinesischen Markt. Hier vernachlässigen die Hersteller nicht nur den Aufbau einer funktionsfähigen Ersatzteillogistik. Sie versäumen es beispielsweise auch, Werkstätten das erforderliche Service-Know-how zu vermitteln, das diese für zufriedenstellende Wartungs- und Reparaturleistungen benötigen.
In Russland waren es in den 1990er Jahren schließlich private, von den Herstellern unabhängige Anbieter, die die Ersatzteilversorgung übernahmen und die entsprechende Nachfrage am Markt befriedigten. Diese Anbieter bauten informationstechnische Infrastrukturen für den Ersatzteilhandel auf, organisierten internationale Lieferketten, orderten Originalteile im Ausland dort, wo sie am schnellsten und preiswertesten zu bekommen waren und sorgten für die möglichst kurzfristige Lieferung an die russische Empfängeradresse. Erstaunlich dabei: Die freien Anbieter realisierten bereits frühzeitig Online-Shops für das B2B-Geschäft und waren damit der Entwicklung in den Heimatmärkten der Hersteller weit voraus. Von den Aktivitäten der Ersatzteilhändler in Russland profitierten die Automobilhersteller in jedem Fall. Die Händler gewährleisteten eine weitgehend funktionierende Belieferung des russischen Marktes mit Autoersatzteilen und waren mit dieser Art der Hilfestellung maßgeblich daran beteiligt, die Marktpositionen der Hersteller in dem osteuropäischen Land zu festigen.
Eigentlich bewährte sich diese Form der Arbeitsteilung zwischen Ersatzteilhändlern und den Automobilherstellern und deren eigenen Händlernetzen und Werkstätten. Doch den Herstellern und Importeuren waren die Teilehändler und deren Anteile an der Wertschöpfung im Ersatzteilmarkt offenkundig ein Dorn im Auge. Und die Automobilkonzerne setzten in den letzten Jahren alles daran, diesen Markt unter Kontrolle zu bringen. Sie unterbanden konsequent die Fremdexporte und kappten die Lieferbeziehungen zwischen ihren Vertragshändlern und den unabhängigen Teilelieferanten.
Das Resultat war und ist allerdings kein funktionierender, von den Herstellern perfekt organisierter Ersatzteilmarkt. Da dieser Markt nach wie vor nicht im Fokus der Automobilhersteller steht, lässt die Qualität der Ersatzteilbelieferung nach wie vor in vielen Ländern zu wünschen übrig. Schlimmer noch: Die bestehende Nachfrage decken inzwischen nicht selten Unternehmen mit unterschiedlichen illegalen Methoden. Diese Einschätzung gilt nicht nur für den russischen Markt. Auch in vielen anderen Ländern bleibt die Lieferung eines benötigten Ersatzteils für den Autofahrer ein Geschäft mit ungewissem Verlauf – und das Fahrzeug im Schadenfall erst einmal lange „auf dem Hof“ stehen.
Oleg Stark, Jahrgang 1975, stammt aus dem russischen Tscheljabinsk. Er lebt mit seiner Familie seit rund 15 Jahren in der Nähe von Köln. In Russland war Stark in den späten 1990er Jahren am Aufbau von Importfirmen beteiligt, die funktionierende Lieferbeziehungen organisierten zwischen Lieferanten von Fahrzeugteilen überall auf der Welt und den Endkunden in Russland. Stark arbeitete zunächst in Russland, später von Deutschland aus für das internationale Ersatzteilhandelsunternehmen AVANGO. Stark verantwortete die Im- und Exportaktivitäten von AVANGO in der Bundesrepublik, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in den USA und in afrikanischen Märkten wie Kenia. Oleg Stark verfügt aus seiner Arbeit über hervorragende Kenntnisse über das Geschäft mit Fahrzeugersatzteilen und über zahlreiche Kontakte in diesem internationalen Markt.