Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung plant der Versicherungskonzern Huk-Coburg neben seinem Netzwerk von 1300 Vertragswerkstätten für Unfallreparaturen in Deutschland auch in das Autoservicegeschäft mit der Wartung von Autos und normalen Reparaturen einzusteigen.
Wolk after sales expert mit über 20 Jahren Erfahrung in Konzeption und Umsetzung von Werkstattsystemen, hat diese Mitteilung zum Anlass genommen, mögliche Auswirkungen auf die Werkstattszene aufzuzeigen.

 

Enormes Potential:

Ab 2015 sollen Hunderte der Kasko Selectpartner auch normale Dienstleistungen für Autofahrer anbieten – zu Sätzen, die spürbar unter denen der herstellergebundenen Werkstätten liegen sollen. Auch neue Werkstattpartner – voraussichtlich mehrheitliche qualifizierte Mehrmarken-Werkstätten – werden dazustoßen. Immerhin könnte alleine die HUK 9,6 Mio. versicherte PKW in das Werkstattnetz (IAM und OES Werkstätten) einsteuern plus noch weitere Millionen PKW von kooperierenden kleineren Versicherern. Damit stünde alleine der HUK mit ihren Koop-Partnern ein Routingpotenzial von 25-30% aller deutschen PKW zur Verfügung.

Wer sitzt auf dem Drivers Seat?

Verbandspolitisch dürften die geplanten HUK Aktivitäten hohe Wellen schlagen. Einerseits regeln „Intermediates” immer stärker die Kundenzuführung in die Werkstätten. Neben den Versicherern sind das vor allem Flotten, Autoclubs und nicht zu vergessen zukünftig in immer stärkerem Maße auch die Online Werkstattportale wie Drivelog, FairGarage etc. In Prognosen weist wolk after sales experts für den Zeitraum 2020 bis 2030 einen gesteuerten Kundenzuführungsanteil in Werkstätten durch Intermediates von mehr als 50% aus. Diese Zahl beinhaltet dabei noch nicht den Steuerungsanteil der Autohersteller, die ja ebenfalls mit langen Servicegarantien, eigenen Versicherungsverträgen als auch zukünftigen Kundenroutingsmaßnahmen wie E-call (emegrency call), S-call (service call) und B-call (breakdown call) die Werkstattloyalität steigern wollen.

Das Servicepotential, das sich den Werkstätten durch eigene Verkaufsanstrengungen erschließt, wird zukünftig also immer geringer. Hier macht sich die weitgehende Akquisitionspassivität des KFZ-Gewerbes um den Servicekunden in der Vergangenheit bemerkbar. Die starke Auftragslage der letzten Jahre dazu geführt hat, dass der Werkstattinhaber sich mit Marketing oder Kundeakquise nicht intensiv auseinander setzen musste. Proaktive Serviceaktionen mit präventivem Charakter, welche dem Autofahrer Service-Folgekosten ersparen, sind bis dato in aller Regel Fehlanzeige. Der Kunde fand ja hilfesuchend den Weg zu ihm. Sollte die Nachfrage der Autofahrer aufgrund der “Intermediates” nun nachlassen, wird sich diese Passivität bzw. Arroganz gegenüber proaktivem Marketing bitter rächen.

Die Folge wird mittelfristig eine starke Netzbereinigung sein, welche primär innovativeren als auch grösseren Servicepartnern eine grössere Überlebenschance bietet.

Der lachende Dritte:

Den Autofahrer wird es im doppelten Sinne freuen. Die bekannten Qualitätsstandards der HUK werden der Servicequalität zugute kommen. Mit Sicherheit dürfte die Ausweitung der Werkstattaktivitäten der HUK von Unfallreparaturen auf das klassische Servicegeschäft auch zu einem gesteigerten Preiswettbewerb in der Werkstattlandschaft führen.

Die Marktmacht, die sich mit einem Steuerungsanteil von 25-30% des PKW-Bestandes verbindet ist enorm. Teilegroßhandel und Komponentenhersteller werden das preispolitisch recht bald zu spüren bekommen. Die Roherträge werden weiter erodieren. Es heißt Abschied nehmen von 35-30%. Die Schmerzgrenze wird in absehbarer Zeit die 25-20% Hürde erreichen und damit nicht mehr weit entfernt liegen von den Roherträgen im Reifengeschäft. Die höhere Informationsdichte (Big Data) kann auch dazu führen, dass der Serviceprozess planbarer wird. Das kann wiederum eine positive Entwicklung für den Teilegroßhandel zur Folge haben, wodurch die häufigen Just in Time-Belieferungszyklen mittelfristig reduziert werden können. Im negativen Sinne öffnet diese Tatsache aber auch „branchenfremden Logistikern” einen leichteren Markteintritt.

 

In die Servicelücke gestoßen:

Wettbewerb intensiviert bekanntermaßen das Geschäft. Und wie immer, wenn sich im konservativen Automotive Aftermarket große Veränderungen ankündigen, kommen neue Impulse von außen. Wie bei Webshops und Online Werkstattportalen werden jetzt auch die Trends im Werkstatt-Konzeptbereich nicht durch Branchen-Insider gesetzt, sondern sie kommen von außen. Newcomer mischen den Aftermarket zum Leid der etablierten Marktteilnehmer auf.

Wird der Einstieg der HUK in das Autoservicegeschäft auch die Werkstatt-Systeme, die überwiegend vom Teilegroßhandel betrieben werden, tangieren? Diese Frage darf eindeutig mit JA beantwortet werden. Die HUK wird sich der qualifizierten Werkstätten bedienen und diese sind eindeutig bei den existierenden Systemen angesiedelt. Ähnlich wie bei den geplanten, durch die Imagekrise des ADAC aber wohl gestoppten „Club-Werkstätten”, werden sich die etablierten Systemwerkstätten um die Gunst der HUK-Werkstätten buhlen. Denn nichts verspricht mehr Werkstattauslastung als ein leistungsfähiger „Kundenbagger”, der Traffic garantiert. Langfristig wird jedoch der Partner mit dem längeren Arm zum Autofahrer, die HUK, die Oberhand und das Sagen haben. Diese Anzeichen sind übrigens auch bei den Karo/Lack-Konzepten wie bei Acoat Selected, Identica oder Repanet etc. zu vermerken.

Die altbackenen Werkstatt-Systeme werden sich neu positionieren müssen. Neben den Teileidentifikationsdaten und den technischen Montageinformationen wird die Kundenzuführung, sprich proaktive Servicemaßnahmen, eindeutig an Bedeutung gewinnen. Das heißt, die traditionellen Systeme sollten schleunigst einen Relaunch Ihres Geschäftsfeldes in Angriff nehmen. Dies gilt insbesondere für die Systembetreiber, die einen Paradigmenwechsel betreiben sollten: „Der Weg der Absicherung des Teilegeschäftes führt zukünftig eindeutig über die eigenständige Kundenzuführung in die angeschlossenen Werkstattsysteme.” Pulleffekte gewinnen gegenüber Pusheffekten an Bedeutung. Im Endeffekt, kann sich die Marktmacht der von der HUK geführten und gesteuerten Werkstatt-Unfallreparatur und Service-Kette dahin gehend kanalisieren, dass zukünftig im Einkauf der Komponenten u.a. auch der direkte Weg zum Komponentenhersteler gesucht wird.

On the Top:

Die Stärke des geplanten HUK Systems basiert auf dem direkten Zugriff zum Autofahrer. Gleiches trifft zukünftig auch auf die Online Serviceportale zu. Was passiert, wenn beide ineinander greifen und voneinander profitieren? Das Kunden-Routing von HUK und von Online Serviceportalen hätte das Potenzial, den Servicemarkt in wenigen Jahren zu revolutionieren. Selten kommt eine Entwicklung alleine. Zwei starke neue Service-Impulsgeber können weitere potentielle Intermediates anlocken. Wenn zusätzlich Flotten und Autoclubs das Potenzial der neuen „Systemlandschaft” entdecken, dürfte der Rest der Servicepartner darüber alles andere als erfreut sein.

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