Gut Ding braucht Weile
Es ist schon ca. 35 Jahre her, seit die Deutsche Goodyear seinerzeit mit “Reifen- und Autoservice Kempen” die ersten Gehversuche im Autoservice machte. Der Autor gehörte seinerzeit dem Team bei Goodyear an, das den Autoservice im Reifenhandel initialisierte. Heute kann die Nachfolge-Organisation “Premio” mit Fug und Recht behaupten, Klassenprimus zu sein.
Trotzdem erstaunt es immer wieder, wenn neue Mgmt.-Generationen kurzfristige Autoservice-Ziele im Reifenmarkt vorgeben und dabei von kurzfristig zu realisierender Marktführerschaft träumen. Aber es ist nicht so einfach im Reifenhandel einen Autoservice erfolgreichen zu etablieren. Theorie und Praxis driften enorm auseinander!
Betriebe, die bereits seit Jahren einen erfolgreichen Autoservice betreiben, wollen ihn nicht mehr missen. Immerhin entfallen ca. 2/3 des gesamten Rohertrags auf den Service inkl. der Teile. Also eine hinreichende Grundlage, sich mit dem Thema “Autoservice im Reifenhandel” noch einmal intensiver auseinander zu setzen.
Der Autoservice Wettbewerb tobt außerhalb des Reifenhandels
Bei der Integration des Autoservice begibt sich der Reifenhandel europaweit mit ca. 365 Werkstattsystemen (siehe Werkstattstrukturen in Europa Report), plus den Vertragswerkstätten der Autohersteller und den Autocentern/Fast Fittern in einem enormen Wettbewerb. Sicherlich verschärft sich der Wettbewerb durch Konsolidierungsprozesse wie die Übernahme von A.T.U durch die französische Mobivia-Gruppe als auch durch den Markteinstieg der Autohersteller wie PSA in den freien Werkstattmarkt durch das Eurorepar-Partner-Netzwerk.
Konsolidierung strafft die Werkstatt-System-Landschaft
Bekanntermaßen wird das Gros der Werkstattsysteme von Teilegroßhändlern bzw. deren Marketing-Kooperationen betrieben. Im fortschreitenden Übernahmeprozess des Teilegroßhandels sammeln sich somit auch eine überhöhte Anzahl von unterschiedlichen Werkstattsystemen an. Unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkten ist hier Straffung angesagt. Davon besonders betroffen sind momentan u.a. Super-Teile-Grossisten wie AAG, LKQ und WM. Wer also nicht häufig das CI in seiner Werkstatt austauschen will / muss, ist gut beraten, bei der Auswahl des Werkstatt-Systems sorgfältig vor zu gehen.
Handlungsempfehlungen und wichtige Fragen
Grundsätzlich gilt bei Handlungsempfehlungen zu unterscheiden nach Reifenbetrieben, die den Autoservice schon seit Jahren eingeführt haben und solchen Betrieben, die sich in den Anfängen bzw. Startüberlegungen befinden.
Reifenhandels-Betriebe, die seit Jahren einen eingeführten Autoservice betreiben:
- In den Haupt-Reifen-Umrüstzeiten wird die hohe Frequenz nicht genutzt, um Autoservice-Arbeiten auf frequenz-schwächere Zeiten zu terminieren
- Konzentration auf einen Primär-Teile- und Know-how Lieferanten anstelle von Verzettelung durch viele Lieferanten
- Bekanntheits- und Akzeptanzuntersuchung auch für den Autoservice und nicht nur für das Reifengeschäft durchführen. Wie beurteilen meine Kunden (privat wie gewerbliche Flotte) meinen Autoservice?
- Vernetzung im Kollegenkreis. Wen kann ich ansprechen, der mir in Problemfällen mit Rat und Tat zur Seite steht?
- Nutzung von Online Web-Shops und Werkstatt-Online-Portalen im Rahmen des Kundenroutings.
- Führen Sie mit nicht konkurrierenden Kollegen regelmäßigen “Autoservice-Erfahrungs-Austausch-Gruppen durch, um up to date zu sein.
- Diagnose- und Kalibrierung erfordern häufig enorme Investitionen. Sind Sie sich im Klaren darüber, welche Investitionen auf Sie zukommen oder ist die Auslagerung auf externe Servicepartner für diese Dienstleistungen für Sie sinnvoller?
- Lassen Sie sich “neutral” beraten über zukünftig notwendige Service-Ausrichtung Ihres Unternehmens.
- Durchführung von mittelfristiger Unternehmensplanung und Abstimmung mit Steuerberater hinsichtlich zukünftig notwendiger Finanzierung notwendiger Autoservice-Investitionen
Reifenhandels-Betriebe, die die sich in den Autoservice-Anfängen bzw.- Startüberlegungen befinden:
- Auswahl des Systempartners. Ist ein externer Servicepartner leistungsstärker als die eigene Reifenkette?
- Packen Sie den Autoservice zu 100% an und nicht nur ein bisschen
- Stellen Sie einen erfahrenen KFZ-Meister ein, der mit dem Autoservice im Reifenhandel nachweislich Erfolge vorweisen kann.
- Achten Sie darauf, dass sich zwischen Reifen- und Autoservicemitarbeitern keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bildet. Ein gemeinsames Team bürgt für den Erfolg. Nicht getrennt operierende “Abteilungen”.
- Autoservice-Mechaniker und -Meister müssen auch im Reifengeschäft mit anpacken?
- Wie ist Ihr Image bei Kunden. Benötigt der Autoservice zusätzliche werbliche Anstrengungen? Müssen Sie neue Kundengruppen ansprechen?
- Stellen Sie den Autoservice als gleichwertig mit dem Reifenservice heraus – in der Werbung, in der lokalen Pressearbeit, im Ladenlokal.
- Machen Sie den Autoservice zur Chefsache
- Setzen Sie sich Autoservice-Ziele – wenn möglich heruntergebrochen auf Tagesziele pro Mitarbeiter
- Führen Sie systematisch bei jedem Reifenkunden, ohne Ausnahme Autoservice-Checks durch
- Schwören Sie Ihre gesamte Mannschaft auf den Autoservice ein. Nicht nur einmal, sondern wöchentlich inkl. Ziel-Ist-Erreichung pro Mitarbeiter.
Allgemein für beide Reifenhandelsgruppen gilt:
Know-how wird immer bedeutender. Wenn dem so sein wird, muss man für das Know-how auch bereit sein, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. Prozessverbesserungen bei der Montage können die produktive Arbeitszeit immens verkürzen.
Zeit ist Geld. D.h. aber auch, dass Know-how, welches mir den Arbeitsprozess verkürzt mehr Geld einbringt, als Rabatte beim Teileeinkauf. In Zukunft bei zunehmender Digitalisierung im Autobau wird also der alte Spruch “im Teileeinkauf liegt der Segen” an Gültigkeit verlieren. Stattdessen wird er vielmehr heißen müssen “im Einkauf des “Know-hows – des Gewusst wie und der schnellen Verfügbarkeit” liegt der Segen”. Das untermauern viele Expertengespräche mit Meistern freier Kfz-Werkstätten, die häufig angeben, schon heute 1,5 bis 3 Std. pro Tag mit der Suche nach dem “Wie” und der “Teile-Identifikation” zu verbringen.
Wolk after sales experts bietet mit PRO FIT ein speziell auf den Autoservice ausgerichtetes Beratungsprogramm an. Ein Modul des Pro Fit Beratungsprogramms befasst sich u.a. mit der Auswahl des richtigen Autoservice-Werkstatt-Systems. Für PRO FIT können Fördergelder beantragt werden.
Ausblick
Bei allen kritischen Herangehensweisen bei Zukunftsprognosen gilt für den Autoservice jedoch die Aussage “Nur noch wenig wird übrigbleiben von der uns bekannten Autoservice-Welt. Vieles wird auf den Kopf gestellt und die Halbwertzeit von Erfahrungen tendiert gegen Null, je weiter wir in die Zukunft blicken”. Wie im Reifengeschäft wächst auch im Autoservice die Komplexität.
So stellen u.a. eine immer komplexere Diagnostik und notwendigen Kalibrierungssysteme bei Fahrer-Assistenzsystemen enorm hohe Anforderungen an die technische Kompetenz hinsichtlich Investitionsbereitschaft an zeitgemäßes Equipment und Personalqualifikation. Nicht zu vergessen sind wachsenden Management-Fähigkeiten sowie in einer überalterten Gesellschaft auch die Nachfolgeregelung, die bei vielen Betrieben ansteht.
Fazit: Es wurde in den letzten Jahrzehnten schon häufig über Insolvenzen im Werkstattbereich geschrieben. Der lineare Wachstumspfad der Aftermarket-Konjunktur wurde getrieben durch mehr und vor allem ältere Autos. Diese Zeiten gehen jedoch nun unabdingbar dem Ende entgegen. Der Diesel-Skandal hat die Autohersteller gehörig wachgerüttelt und wird notwendige Veränderungen zu neuen Antriebssystemen schneller greifen lassen, als noch vor einem Jahr für möglich gehalten.
Im Wettbewerbsumfeld wird in den nächsten Jahren ein großes Sterben der freien Werkstätten als auch bei Reifenhandels-Betriebsstätten einsetzen. Der Rest wird aus qualifizierten und vor allen Dingen auch größeren Betriebsstätten bestehen, die dann wiederum in einem bereinigten Aftermarket auch wieder ein gutes Auskommen haben werden. Wie Karosserie- und Lackwerkstätten immer häufiger auch den Autoservice mittels Werkstatt-Systemen angliedern, um damit Ihre Überlebensfähigkeit zu sichern, so ist das auch für den Reifenfachhandel eine Überlebens-Option, um im Wettbewerb besser bestehen zu können.
Der Marktanteil des PKW-Autoservices im klassischen Reifenfachhandel erreicht dato noch nicht einmal einen halben Prozentpunkt des gesamten After Sales Marktes in Europa. Vom gesamten Aftermarket für PKW-Komponenten macht das Reifengeschäft, das über den Reifenhandel läuft, jedoch ca. 6-7% aus. Dies macht deutlich, welches Wachstum dem Autoservice im Reifenhandel noch offensteht, wenn man es mit aller Kraft anpackt.